Über Armut

Letztens zeigte ich ein Foto von Porridge und erwähnte im Begleittext, dass ich momentan sehr genervt bin von meinen Vorräten. Daraufhin durfte ich mir anhören, dass ich nicht rumheulen solle, es hätte mich ja niemand gezwungen diese Vorräte anzulegen. Einfach aufbrauchen und gut…

eine Schüssel Porridge auf einem grünen Tuch

Tatsächlich habe ich erst dank dieses (sehr unhöflichen) Kommentars darüber nachgedacht, weshalb es mir so schwer fällt Dinge wegzuwerfen. Gerade Lebensmittel. Das ich keine Lebensmittelverschwendung unterstützen will, ist da nur die halbe Wahrheit.

Es steckt tatsächlich soviel mehr dahinter. Ich habe uns nie als arm gesehen oder bezeichnet. Wir haben ein Dach über dem Kopf, warmes sauberes Wasser, geheizte Räume, genug zu Essen. Es gibt so viele Menschen die das alles nicht haben. Die täglich ums Überleben kämpfen. Diese Ängste habe ich nicht und hatte ich auch nie.

Und dennoch…

Es war einmal in …

Ortsschild von Hannover

In meiner Ausbildungszeit habe ich knapp 800 € zum Leben gehabt. Davon musste Miete, Heizung, Wasser, Lebensmittel, Hygiene und mehr bezahlt werden. Seit dieser Zeit, weiß ich, dass Olivenöl bei ungefähr 8 Grad ausflockt vor Kälte. Denn Heizen war auch damals schon teuer, dann lieber mit nem Extrapulli und Wärmflasche ins Bett kuscheln und ein bißchen sparen. Mein Vater ist so der Typ „die Heizung kann ausbleiben, da brennt ja ne Kerze“. Er hat damals in meiner Wohnung gefroren!

Und wusstet ihr, dass eine Dose kalte Kidneybohnen und eine Tüte Billig-Kartoffelchips eine komplette Mahlzeit sein kann? Klar keine gesunde. Aber eine die vergleichsweise satt macht – und das für nicht mal 1 € …

Während sich also meine bei ihren Eltern lebenden Berufsschulklassenkameradinnen darüber unterhielten, wofür sie ihr Ausbildungsgehalt auf den Kopf gekloppt haben (Spoiler: Kleidung, Schuhe, Make Up), verhandelte ich mit meinem Chef, dass ich bitte nicht mehr als 325 € Ausbildungsgehalt bekommen darf, damit ich keine Abzüge bei der Berufsausbildungsbeihilfe bekomme … Unvergessen übrigens wie mir der Chef dann sagte, dass leider eine Steigerung des Ausbildungsgehaltes vorgeschrieben ist und sie mir deshalb im 2. Lehrjahr nur 324 € zahlen und ich im 3. Lehrjahr dann die „vollen“ 325 € erst bekommen werde. Als Anwalt hat man es ja auch nicht leicht und muss jeden Euro mehrmals umdrehen …

(Klar hätte ich meine Eltern um Unterstützung bitten können, aber es war meine Wohnung, mein Leben und ich wollte es allein schaffen. Es war immer gut zu wissen, wenn es hart auf hart kommt, dann sind sie da, aber ich wollte sie so wenig wie möglich belasten mit meinem Leben und der Finanzierung desselben.)

Die Situation besserte sich, als ich mit meinem Ex-Partner zusammen in eine WG zog. Nebenkosten wurden jetzt durch 3 geteilt, da beide Mitbewohner voll bezahlte 40 Stunden-Jobs hatten, erklärten sie sich bereit eine leicht höhere Miete zu zahlen und meinen Anteil etwas zu senken. Außerdem wurden die Einkäufe aufgeteilt und wir haben öfter zusammen gekocht.

Kinder, Katze, Kosten

Einen Partnerwechsel und einen Umzug später, kamen dann die Kinder und ALG 2. Und auch das hat nachhaltig geprägt. Diese furchtbare Angst, dass irgendetwas zurück gefordert wird. Das etwas Unvorhergesehenes passiert, das bezahlt werden muss. Die Kinder die Dinge brauchen… Eine Katze die in besseren Zeiten angeschafft wurde und natürlich auch weiter versorgt werden musste. Monatelang im Minus am Anschlag des Dispos und kein Ende der roten Zahlen. Das wirkt nach.

Mein Kater Theo als Kitten. Versteckt zwischen Sofa und Wand, über ihm die Heizung.

Die Angst verschwindet nicht

Mittlerweile geht es uns besser. Mein Konto ist den größten Teil der Zeit eigentlich im positiven Bereich, Ausbrüche in den Dispo sind meist nur kurzzeitig (aktuell beispielsweise, weil die gestohlenen 1000 € sich immer noch bemerkbar machen). Aber die Angst bleibt! Dauerhaft. Und ich fürchte, ich werde sie niemals ablegen.

Und einer der Auswüchse dieser Angst ist, dass ich nichts essbares weg werfen kann. Denn, wenn wir nichts mehr haben, dann hab ich zumindest noch Vorräte aus denen ich etwas machen kann… Und es ist absolut nebensächlich, ob meine Kinder das überhaupt essen würden. Diese Angst, dieses Behalten ist nicht rational.

Aber ich kämpfe dagegen an – in dem ich momentan meine Vorräte wirklich massiv einbinde und aufbrauche. Der langfristige Plan ist, die Vorräte die ich allein essen würde (sowas wie Dinkel-wie-Reis) zeitnah endlich aufzubrauchen und durch Dinge zu ersetzen, die wirklich alle essen würden. Dosenravioli zum Beispiel. Wenn sie im Angebot sind. Oder Mais und Co. zum Kochen.

Ich weiß, dass ich da ein Problem habe. Und ich weiß jetzt woher das kommt. Aber übergriffige und verachtende Kommentare helfen definitiv nicht. Und nein, verschenken ist definitiv keine Option. Die Sachen sind zum Großteil weit über dem Mindesthaltbarkeitsdatum – ich würde mich schämen so etwas weiterzugeben!

ein Selfie - ich liege dabei auf dem Boden, die Haare um mich ausgebreitet, die Augen geschlossen. Ich sehe entspannt aus.

Danke fürs Lesen. Das musste jetzt einfach mal raus <3

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5 Comments

  • Reply
    Rotkehlchen007
    27. August 2022 at 15:04

    Es ist doch wie so oft im Leben, dass es immer irgendwelche Menschen gibt, die ihren ersten Gedanken den sie zu etwas haben, in die Öffentlichkeit posaunen müssen. Es ist einfach nicht notwendig sich selbst als Maßstab aller Dinge zu sehen. Wie meistens hat das mehr mit den Kommentatoren zu tun, als mit Dir! Reden ist Silber, Schweigen manchmal doch Gold.

    • Reply
      Lani
      27. August 2022 at 16:34

      Nachdenken und im Zweifel einfach mal seine Meinung für sich behalten ist heute einfach nicht mehr möglich. Es scheint ein allgemeines Problem von Social Media zu sein, den ins Gesicht hat mir bisher niemand solche verletzenden Dinge gesagt.

  • Reply
    Su
    27. August 2022 at 15:55

    Armut sieht man nicht. Und die meisten Menschen waren noch nie arm.
    Ich bin EU-Renterin und muss auch jeden Cent umdrehen. Aber man sieht es mir nicht an. Weil ich eben auch auf mein Äußeres achte und weil es mir wie Dir geht – ich kann keine Lebensmittel wegwerfen. Sie haben Geld gekostet und werden also auch verwertet.
    Es kommen dabei abenteuerliche Menus heraus. Aber hey, es macht satt.

    Ich wünsche niemanden, dass er wirklich mal in eine Situation kommt wo er entscheidet ob er Miete zahlt oder den Kühlschrank füllt. Aber das wird wohl diesen Winter passieren. Und viele werden umdenken lernen – ob sie es wollen oder nicht.

    Lani, Du bist eine tolle Mutter und toughe Frau. Ich weiss, dass solche Kommentare arg weh tun können. Aber sei Dir gewiss – Du bist weder allein noch bist Du weniger wert deswegen. Manch anderer hätte schon alles hingeworfen. Du machst weiter. Hut ab davor.

    Ich lass Dir liebe Grüsse da
    Susi

    • Reply
      Lani
      27. August 2022 at 16:37

      Vielen vielen Dank für deine lieben Worte <3 Die gehen runter wie Öl. Ja ich habe auch echt Angst vor dem Winter und dem was in der Zukunft noch auf uns wartet. Alles in mir schreit danach riesige Vorräte anzulegen, weil alles immer teurer wird und ich auch noch nicht sehe, dass sich das in naher Zukunft ändern wird. Ich gehe eher von noch deutlich weiter steigenden Preisen aus. Und ja, dann betrifft es auch viele, die bisher nicht aufs Geld achten mussten.

  • Reply
    Britta
    31. August 2022 at 10:50

    Im Internet verletzt es sich leider viel zu schnell und leicht – dennoch kann ich nicht wirklich verstehen, warum sich jemand überhaupt bemüßigt fühlt, solche Kommentare zu schreiben, die einfach verletzend sind.
    Ich habe große Achtung vor Dir und der Art, wie Du Dein und Euer Leben meisterst und wenn ich nun so lese, wie Du die Jahre seit dem Auszug aus dem Elternhaus erlebt hast, kann ich nur nochmal den Hut ziehen!
    Vielleicht ist es Dir ein kleiner Trost, dass ich beim Anblick manch labbeligen Gemüses in meinem Kühlschrank schon öfter davor war, es einfach zu entsorgen und dann an Dich gedacht und es doch noch verarbeitet habe! 😉
    Du siehst, Du trägst also auf jeden Fall etwas zur Nachhaltigkeit auf diesem Planeten bei!

    Liebe Grüße, Britta

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